Die echten Europäer in Brüssel bilden schon eine besondere Gattung: Sie fühlen nur wenig von der Rezession. Wie sollten sie auch? Schließlich sind Beamten- und Diplomatenjobs krisenfest, so dass im Europäischen Brüssel bisher nur wenig von der Krise bemerkbar wird: Räumungsverkäufe, leere Einkaufsstraßen oder lange Schlangen beim Arbeitsamt? Nicht in Brüssel! Nur das hektische Treiben europäischer Regierungschefs trübt den Schein.
Wenn man den Finanzmärkten Glauben schenken darf, kann sich auch der Rest Europas in den kommenden Monaten wieder auf Brüsseler Zustände freuen. Das Ende der Krise scheint eingeläutet zu sein. Der DAX ist seit Anfang März 2009 mit knapp 25% gestiegen, Bankenbilanzen verbessern sich und Gewinne werden gebucht. Allerdings bleibt die Frage offen, wie nachhaltig diese positiven Signale sind. Gegenwärtig profitieren Banken insbesondere von den niedrigen Refinanzierungskosten der Zentralbanken und buchhalterischen Tricks. Der amerikanischen Bilanzierungsrat FASB hat Banken mehr Spielraum eingeräumt, um bei der Bewertung ihrer Ramschpapiere vom aktuellen Marktwert abweichen zu können. Durchwurschteln als Strategie?
Natürlich, denn Aktienmärkte laufen wirtschaftlichen Entwicklungen voraus. Die aktuelle Rallye zeigt somit auch, dass das Schlimmste hinter uns liegt. Für kühne Träume ist es aber noch zu früh. Die nächsten Monate werden noch holprig verlaufen. Banken werden schon jetzt mit den realwirtschaftlichen Folgen der Rezession konfrontiert. In Europa ist die Gefahr einer Kreditklemme weitaus geringer zu befürchten als Kreditausfälle und eine sinkende Nachfrage nach neuen Krediten. Immer mehr Menschen werden ihre Arbeit verlieren und die zunehmende Unsicherheit über den eigenen Arbeitsplatz macht die positiven Impulse niedriger Inflation und höhere Löhne wieder zunichte. Es dauert somit noch eine Weile, bis die ganze Wirkung von Konjunkturpaketen und Zinssenkungen zum Tragen kommt.
Der Anfang vom Ende ist da, aber es wird ein langes, zähes Ende. Es wird also noch eine Weile dauern, bis wir alle wieder echte Europäer sind.
Aus: Letter from...Brussels, Euro am Sonntag