Als Deutscher in Brüssel hat man es nicht einfach. Nicht nur, dass europäische Nachbarn einen ständig als Euro-Rettungsverweigerer beschimpfen, nur weil man nicht einsieht, dass deutsches Steuergeld ohne Gegenleistung in andere Länder gepumpt wird. Nein, auch weil man sich als deutscher mit Hang zur Ordnungsliebe gerne am Brüsseler Alltag stört. Die Straße vor meiner Haustür wurde dieses Jahr nun schon zehn Mal ausgebuddelt, zugeschüttet und wieder geöffnet. Jedes Mal für einen anderen Zweck. Fragen des „Wieso, weshalb, warums“ werden in Brüssel nur mit Kopfschütteln begegnet. Das ist nun mal so. Eine unübersichtliche, scheinbar chaotische Strategie ohne deutliches Ziel? Das gibt es nicht nur im Brüsseler Straßenbau.
Ähnlich wie in meiner Brüsseler Straße werden auch in der Euro-Krise regelmäßig neue Baustellen geöffnet, geschlossen und wieder geöffnet. Teilweise aber auch ganz und gar vergessen. Manche Wundermittel sind schon wieder in Vergessenheit geraten bevor sie jemals umgesetzt wurden. Andere Maßnahmen werden gerne als alternativlos dargestellt, auch wenn sie nationale Volksvertreter und Bürger mit astronomisch hohen Beträgen konfrontieren. Da überrascht es nicht, wenn viele Menschen mittlerweile krisenmüde geworden sind und sich in populistisch einfache Aussagen wie „Griechenland rein oder raus“ flüchten.
Um den zunehmenden Populismus in der Euro-Krise zu bekämpfen, ist mehr Aufklärungsarbeit gefragt. In den nächsten Wochen wird innerhalb kürzester Zeit über Rettungsschirme, Griechenland und Staatsanleihenkäufe der EZB entschieden wird. Gleichzeitig kursieren Pläne zur Bankenunion und mehr Integration. Das sind viele Baustellen zur gleichen Zeit. Will man nicht das Kopfschütteln der europäischen Buerger ernten, wird es Zeit zu erklären, wie die verschiedenen Baustellen zueinander passen und wie die Strasse irgendwann mal aussehen soll.
Dieser "Letter from Brussels" erschien in der Euro am Sonntag.
No comments:
Post a Comment